Sonntag, 4. Februar 2024

 



Die Würde des Menschen


Als ich als junge Schwester im Krankenhaus arbeitete,

wurde eine Frau eingeliefert, die direkt von der Feldarbeit kam.

Sie trug noch ihre Arbeitskleidung, die verschmutzt war,

und war verschwitzt.


Ich weiß noch, daß ich damals peinlich berührt war.

Ich denke, ich war noch zu jung, um zu verstehen,

daß die Würde des Menschen unabhängig ist

von seinem äußeren Erscheinungsbild.


Viele Jahre später gab es ein Geschehnis,

das mich noch viel tiefer bewegte.

Mama war beim Zeitungsaustragen nachts 

bei Glatteis gestürzt

und hatte sich eine Platzwunde am Kopf zugezogen,

die sehr blutete.

Sie stillte die Blutung mit dem, was sie bei sich trug,

und trug dann, tapfer, wie sie war, 

weiter Zeitung aus, bis sie fertig war.

Dann begab sie sich so, wie sie war,

direkt zu ihrem Hausarzt.


Dieser meinte, sie habe großes Glück gehabt,

daß die Blutung durch die große Kälte zum Stillstand gekommen sei.


Nun müsse man jedoch abwarten, bis ihr Notverband aufgetaut sei,

damit er die Wunde versorgen könne.


Er bat Mama, solange bei ihm in der Praxis zu bleiben,

und seine Frau, die in der Praxis mitarbeitete, bat er,

für Mama ein Frühstück zuzubereiten.

Er wußte, daß sie seit Stunden unterwegs gewesen war

und hungrig sein mußte.


Diese zutiefst menschliche Geste berührt mich noch heute.


Gerade in seiner Bedürftigkeit - gleich welcher Art -

ist der Mensch am meisten darauf angewiesen,

daß wir würdevoll mit ihm umgehen.



1 Kommentar:

  1. Mama wäre so stolz auf dich, wenn Sie diesen Artikel über sich lesen würde. Sie hat uns soviel Kraft gegeben und war immer so bescheiden. Sie bleibt immer in unserem Herzen.
    Es ist schön, dich als meine Schwester zu haben.

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